Kollusion nach Jürg Willi – Versteh Deine Beziehungsmuster
- Janine Baumann
- 6. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Okt.
Warum gerätst Du immer wieder in ähnliche Dynamiken?
Der Schweizer Psychiater Jürg Willi nannte das Kollusion – ein unbewusstes Zusammenspiel zweier Menschen, in dem sich ungelöste innere Konflikte „passend“ ergänzen. Am Anfang wirkt das wie perfekte Chemie, später wird es anstrengend.
Was ist Kollusion?
Kollusion (von colludere = zusammenspielen) bedeutet: Zwei Partner stimmen sich unbewusst so aufeinander ein, dass ihre Ängste und Sehnsüchte ineinandergreifen.
Kurz: Ihr spielt – ohne es zu merken – ein wiederkehrendes Beziehungsspiel.
Wie entsteht Kollusion?
Wir alle bringen aus Kindheit und Bindungserfahrungen Grundkonflikte mit. In Beziehungen suchst Du unbewusst Menschen, die diese Konflikte spiegeln oder ergänzen.
Beispiel: Nähe-ängstlich trifft auf Nähe-suchend. Erst ausgleichend, später ein Nähe–Distanz-Pingpong.
Die vier Grundkollusionen (nach J. Willi)
Die Begriffe klingen psychoanalytisch – nimm sie als Kurzlabels für typische Dynamiken, nicht als Diagnosen.
1) Narzisstische Kollusion – „Bewundere mich / Ich bewundere Dich“
Thema: Selbstwert, Anerkennung, Gesehenwerden.
Dynamik:
Person A sucht Bewunderung und Besonderheit.
Person B idealisiert und stellt sich zurück.
Anfang: A fühlt sich großartig, B „darf dabei sein“.
Später: A wirkt überheblich, B fühlt sich klein/unsichtbar.
Erkennungszeichen: Viel Redeanteil, Statusvergleiche, Kränkbarkeit.
Reifung: Selbstwert von innen stärken, Augenhöhe leben.
2) Anale Kollusion – „Ordnung/Perfektion vs. Chaos/Rebellion“
Thema: Kontrolle, Gewissenhaftigkeit, Angst vor Kontrollverlust.
Dynamik:
A strukturiert, kontrolliert, perfektioniert.
B fügt sich – oder rebelliert passiv.
Anfang: Entlastung („Endlich Ordnung!“).
Später: Enge vs. Trotz, Recht-haben-Kämpfe.
Erkennungszeichen: Richtig/falsch-Diskussionen, Listen, Standards.
Reifung: Struktur UND Flexibilität balancieren; Verantwortung teilen.
3) Orale Kollusion – „Ich geb’ alles / Halt mich fest“
Thema: Fürsorge, Geborgenheit, Angst vor Verlassenwerden.
Dynamik:
A versorgt übermäßig.
B nimmt gerne an, wird abhängig.
Anfang: A fühlt sich gebraucht, B geborgen.
Später: A erschöpft, B unselbstständig.
Erkennungszeichen: Ungleichgewicht im Geben–Nehmen, Verschmelzung, Trennungsangst.
Reifung: Empfangen lernen, Grenzen spüren, Eigenständigkeit beider stärken.
4) Phallische Kollusion – „Stark führen vs. schwach brauchen“
Thema: Macht, Durchsetzung, Angst vor Schwäche.
Dynamik:
A zeigt Stärke/Dominanz.
B zeigt Schwäche/Abhängigkeit.
Anfang: Schutz und Klarheit.
Später: Härte vs. Angst; Entscheidungen nur bei A.
Erkennungszeichen: Dominanz, Konfliktsuche vs. -vermeidung.
Reifung: Verletzlichkeit zulassen, Gleichberechtigung leben.

Woran erkennst Du Kollusion?
Muster-Hinweise
Extreme Ergänzung: „Wir sind total verschieden – und es passt zu gut.“
Wiederholung: Dieselben Konflikte mit wechselnden Partnern.
Intensität: Sehr schnell, sehr nah – oder rasant kippen.
Starre Rollen: Immer stark/schwach, gebend/nehmend, planend/treibend.
Körpersignale
Anspannung in typischen Situationen
Erschöpfung durch Rollenerfüllung
Gefühl von „Gefangensein“
Deine eigenen Bedürfnisse verschwinden
Raus aus der Kollusion – hin zu reifer Liebe
1) Bewusstwerden
Welche Rolle spielst Du meist?
Welcher Grundkonflikt (Nähe, Kontrolle, Anerkennung, Stärke) triggert Dich?
Wo wiederholst Du das?
2) Verantwortung übernehmen
Deine Bedürfnisse spüren & ausdrücken
Grenzen setzen und respektieren
Selbstwert innen nähren
3) Sprechen – ohne Schuldzuweisung
„Mir fällt auf, dass wir in diese Dynamik rutschen …“
„Ich möchte anders reagieren lernen …“
„Lass uns gemeinsam schauen, was wir ändern.“
4) Neues Verhalten üben (kleine Schritte)
Bewusst anders reagieren (Mikro-Experimente)
Die starre Rolle verlassen
Der anderen Person Raum für Veränderung geben
Kollusion vs. reife Beziehung
Kollusion | Reife Liebe |
Unbewusstes Ergänzungsspiel | Bewusste Wahl & Gestaltung |
Starre Rollen | Flexible, geteilte Rollen |
Angst schützt vor Veränderung | Wachstum ist erwünscht |
Verschmelzung oder Distanz | Verbundenheit mit Eigenständigkeit |
Wiederholung alter Szenen | Entwicklung neuer Muster |
Häufige Fragen
Heisst Kollusion, dass unsere Beziehung schlecht ist?
Nein. Kollusion ist normal. Problematisch wird es, wenn Muster starr bleiben.
Kommen wir da raus?
Ja – mit Bewusstsein, kleinen Übungen und, wenn nötig, professioneller Begleitung.
Ist jede Beziehung kollusiv?
Die meisten Beziehungen haben kollusive Elemente. Entscheidend ist, ob ihr sie erkennt und damit arbeitet.
Unterschied zu Bindungsstilen?
Bindungsstile beschreiben, wie Du bindest. Kollusion erklärt, warum ihr euch findet und welches Spiel ihr (unbewusst) spielt.
Kollusion im Zeitverlauf
Verliebtheit: „Perfekte Ergänzung“ fühlt sich magisch an.
Alltag: Unterschiede werden arbeitsintensiv.
Krise: Machtkämpfe, Enttäuschung, Rückzug.
Entwicklung: Bewusstwerden → neue Wahl → reifere Nähe.
Wann Unterstützung sinnvoll ist
Wiederkehrende Muster trotz guter Vorsätze
Hoher Leidensdruck oder festgefahrene Kommunikation
Wunsch nach Einzel- oder Paararbeit
Wirksam können sein:
Einzeltherapie/Coaching (eigene Anteile klären)
Paartherapie (Muster gemeinsam bearbeiten)
Systemische Arbeit (Familienloyalitäten)
Traumatherapie (frühe Verletzungen integrieren)
Fazit: Kollusion ist keine Katastrophe – sondern eine Einladung.Erkennst Du das Beziehungsspiel, kannst Du anders spielen: bewusster, weicher, erwachsener. Aus unbewusster Ergänzung wird reife, verbundene Liebe.
Hinweis: Dieser Beitrag dient der Selbstreflexion und ersetzt keine Therapie.
Weiterführendes
Jürg Willi (Auswahl):
Die Zweierbeziehung (Grundlagen)
Was hält Paare zusammen?
Koevolution – Die Kunst gemeinsamen Wachsens
Nächster Schritt:
Mach den Kollusions-Test auf JMB Therapie: In Bearbeitung - on air ab 1.11.2025
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