Bindungs- und Entwicklungstrauma – wenn frühe Erfahrungen bis heute nachwirken
- Janine Baumann

- 16. Nov.
- 11 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Nov.
Viele Menschen spüren: „Irgendwie reagiere ich über – besonders in Beziehungen – und ich verstehe selbst nicht, warum.“
Vielleicht kennst du das:
Du sehnst dich nach Nähe – und gleichzeitig macht sie Angst.
Kritik, Rückzug oder Unzuverlässigkeit von anderen trifft dich tiefer als „es eigentlich sollte“.
Du funktionierst gut im Alltag, aber innerlich fühlst du dich leer, falsch oder nie genug.
Oder du merkst: Bestimmte Situationen lösen Panik, Erstarren oder heftige Wut aus – viel stärker, als es die Situation allein erklären würde.
Zwischen Nähe und Schmerz
Bindungstrauma – der Beginn unserer inneren Reise
Das Bindungstrauma betrifft die allerersten Beziehungen im Leben eines Menschen. Es entsteht, wenn grundlegende Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe und Schutz nicht ausreichend beantwortet werden.
Entwicklungstrauma – verstehen, was uns prägt
Entwicklungstraumata sind oftmals die Summe vieler kleiner Verletzungen über die Zeit. Sie beeinflussen unsere Entwicklung auf einer tiefen Ebene und können zu ganz unterschiedlichen emotionalen und psychischen Herausforderungen führen.
In meiner Arbeit nutze ich gerne den Begriff Bindungs- und Entwicklungstrauma: frühe Erfahrungen, die dein Nervensystem, dein Bindungsverhalten und dein Selbstbild nachhaltig geprägt haben.
Auf dieser Seite erfährst du:
was Bindungs- und Entwicklungstrauma bedeutet
wie es entsteht und warum du dich oft kaum bewusst daran erinnerst
welche typischen Folgen es im Erwachsenenleben haben kann
und wie Heilung und Nachreifen heute aussehen können
1. Was ist ein Bindungstrauma?
Von einem Bindungstrauma sprechen wir, wenn ein Kind in den ersten Lebensjahren keine ausreichend sichere emotionale Basis entwickeln kann.
Das passiert, wenn die wichtigste Beziehung – meist zu Mutter, Vater oder anderen Bezugspersonen – von Dingen geprägt ist wie:
emotionaler Unberechenbarkeit
Kälte oder Abwesenheit
Überforderung, Gewalt oder Missbrauch
oder einer Mischung aus „mal liebevoll, mal abweisend oder bedrohlich
Die Bindungsforschung (u. a. John Bowlby und Mary Ainsworth) zeigt seit Jahrzehnten, wie stark frühe Beziehungserfahrungen unser Bindungssystem, unsere Stressregulation und die Entwicklung unseres Selbst prägen.
Im Unterschied zu einem einmaligen Schocktrauma (z. B. nach einem Unfall oder Überfall) entsteht ein Bindungstrauma meist:
langsam und wiederholt
mitten im Alltag, oft ohne „großes Ereignis“
genau in den Beziehungen, in denen das Kind eigentlich Schutz, Halt und Trost bräuchte
Viele Betroffene sagen später:
„Es gab kein großes, klares Ereignis – es war eher ein dauerhaftes Zuviel, Zuwenig oder eine ständige Unsicherheit.“
2. Was ist ein Entwicklungstrauma?
Der Begriff Entwicklungstrauma wird in der Fachliteratur nicht ganz einheitlich verwendet. Viele Autor:innen nutzen ihn fast synonym zu Bindungstrauma. Andere betonen damit vor allem den gesamten Entwicklungsweg eines Kindes – also die Frage, wie sich wiederholte Belastungen über verschiedene Lebensphasen hinweg auswirken.
Du kannst es dir so vorstellen:
Von einem Entwicklungstrauma sprechen wir, wenn ein Kind über längere Zeit und in mehreren Entwicklungsphasen (z. B. Existenz, Bedürfnisse, Autonomie, Identität) zu wenig Halt, zu viel Stress oder widersprüchliche Signale erlebt.
Typisch sind chronische Überforderung, emotionale Vernachlässigung, dauernde Anspannung oder Angst – oft in Kombination mit bindungsbezogenen Verletzungen.
Entscheidend ist dabei nicht nur, was passiert ist, sondern vor allem:
Wie lange musste das Kind so leben?
Wie allein war es mit seinem Erleben?
Welche Entwicklungsschritte – etwa Vertrauen, Bedürfniswahrnehmung, gesunde Abgrenzung – konnten in dieser Umgebung nicht wirklich reifen?
In meiner Arbeit verwende ich deshalb gerne beide Begriffe:
Bindungstrauma – für die Verletzungen in den wichtigsten Beziehungen
Entwicklungstrauma – für die langfristigen Folgen auf Selbstbild, Nervensystem und Entwicklung
Meistens sprechen wir in der Praxis über dieselbe Art von Wunden – nur aus zwei Blickwinkeln.
3. Wie hängen Bindungs- und Entwicklungstrauma zusammen?
Kurz gesagt:
Ein Bindungstrauma ist fast immer auch ein Entwicklungstrauma.
Wenn ein Kind über Jahre keine sichere Bindung erlebt, betrifft das automatisch seine Entwicklung:
Existenz: Fühle ich mich überhaupt willkommen und sicher genug, um zu entspannen?
Bedürfnisse: Darf ich etwas wollen? Wird auf meine Signale eingegangen?
Autonomie: Darf ich „ich“ sein – mit eigenem Willen, Gefühlen und Grenzen?
Identität & Selbstwert: Wer bin ich? Bin ich ok, wie ich bin?
Fehlt in diesen Bereichen Unterstützung oder gibt es sogar Gewalt, Beschämung oder ständige Überforderung, dann:
lernt das Kind, sich anzupassen, zu verstecken oder abzuschalten, um innerlich zu überleben
entwickelt es Glaubenssätze wie „Mit mir stimmt etwas nicht“, „Ich bin zu viel / zu wenig“, „Ich darf niemandem vertrauen“
verinnerlicht es Strategien, die damals sinnvoll waren – heute aber Beziehungen, Beruf und Selbstwert sabotieren können
Deshalb arbeite ich mit Klient:innen nicht nur an „Symptomen“, sondern schaue gemeinsam:
In welchen Entwicklungsphasen hat dein System besonders gelitten?
Welche Entwicklungsschritte möchten wir heute nachnähren?

4. Wie entsteht ein Bindungs- und Entwicklungstrauma konkret?
Hier geht es weniger um „schlimm genug oder nicht“, sondern darum, wie sich der Alltag für das Kind angefühlt hat.
Typische Konstellationen sind zum Beispiel:
Emotional abwesende oder überforderte Eltern
Depression, Burnout, Überlastung
eigene unverarbeitete Traumata
Fokus auf Funktionieren statt Fühlen
Ambivalenz und Unberechenbarkeit
mal liebevoll, mal abweisend oder wütend
Stimmung der Bezugsperson bestimmt die „Wetterlage“ im ganzen Zuhause
das Kind lernt: „Ich muss scannen, wie die anderen drauf sind.“
Dauerstress und Angst
Streit, Gewalt, Sucht, psychische Erkrankung in der Familie
ständiges „Auf-der-Hut-sein“
manchmal ohne direkte Gewalt gegen das Kind, aber mitten im Feld
Überanpassung und Parentifizierung
das Kind tröstet die Eltern
übernimmt Verantwortung, vermittelt, kümmert sich
eigene Bedürfnisse werden zur Störung
Fehlende körperliche und emotionale Zuwendung
wenig Berührung, Blickkontakt, freundliche Ansprache
Bedürfnisse nach Nähe, Trost und Gesehenwerden bleiben unerfüllt
Wichtig: Nicht jedes Kind in solchen Situationen entwickelt ein ausgeprägtes Trauma – aber je jünger, je länger ausgesetzt und je weniger sichere Bezugspersonen es gibt, desto höher ist das Risiko.
5. Was passiert im Nervensystem und in der Psyche?
Unser Nervensystem ist von Anfang an darauf ausgelegt, sich über Bindung zu regulieren:
Ein Baby kann sich allein nicht beruhigen. Es braucht Blickkontakt, Stimme, Berührung, Körperwärme.
Bleibt diese Co-Regulation aus oder ist sie gleichzeitig Quelle von Angst, passiert etwas Entscheidendes:
Das kindliche System lernt:
Übererregung (ständige Alarmbereitschaft, innere Unruhe, Schlafstörungen)
oder Untererregung (Abschalten, Leere, Taubheit, Depersonalisation)
oder pendelt extrem zwischen beidem (dramaartige Beziehungen, starke Schwankungen im Gefühlsleben).
Gleichzeitig entstehen:
negative Selbstbilder und Glaubenssätze
„Ich bin nicht liebenswert.“
„Ich bin falsch / zu viel / zu wenig.“
„Ich darf niemandem zur Last fallen.“
„Ich muss perfekt sein, sonst werde ich verlassen.“
Bindungsmuster, die später in Beziehungen wieder auftauchen:
klammern, überanpassen, people pleasing
Rückzug, Kälte, Distanz
chaotischer Wechsel zwischen Nähe und Abwehr
Viele Menschen mit Bindungs- und Entwicklungstrauma berichten, dass sie sich wie „von außen“ sehen, als wären sie nicht richtig dabei – ein klassisches Zeichen von dissoziativen Schutzmechanismen.
6. Typische Anzeichen im Erwachsenenleben
Bei einem Bindungs- und Entwicklungstrauma geht es selten nur um „ein Symptom“.Oft zeigt sich ein ganzes Muster – vor allem in Beziehungen, im Körper und im inneren Erleben.
6.1 In Beziehungen & Nähe
Vielleicht erkennst du dich in einem oder mehreren Punkten wieder:
Du sehnst dich nach Nähe – und ziehst dich gleichzeitig zurück, wenn jemand dir wirklich nahe kommt.
Du hast Angst vor Verlassenwerden und wirst sehr unruhig, wenn andere sich nicht melden oder distanzierter sind.
Du passt dich stark an, bist „die Starke“ oder „die Funktionierende“ – und merkst erst später, wie erschöpft du bist.
Du gerätst immer wieder in ähnliche Beziehungskonstellationen: z. B. zu emotional nicht erreichbaren, narzisstischen oder bedürftigen Partner:innen.
Du spürst oft keine klare Grenze: Wo hörst du auf, wo fängt der andere an?
Hinter solchen Mustern steckt meist kein „Charakterfehler“, sondern ein Nervensystem, das sehr früh gelernt hat:
„Ich muss mich anpassen, um nicht verlassen zu werden.“„Ich darf nicht zu viel sein.“„Ich bin sicherer, wenn ich niemanden wirklich brauche.“
6.2 Im Umgang mit Gefühlen & im Körper
Du fühlst sehr viel – vielleicht sogar „zu viel“ – und bist schnell überwältigt.
Oder du fühlst fast gar nichts: eher Leere, Taubheit, Müdigkeit.
Du kennst Zustände wie „alles wird plötzlich weit weg“, „ich höre nur noch wie durch Watte“, „ich bin nicht mehr richtig da“.
Du reagierst körperlich stark auf Stress: Herzrasen, Magen, Darm, Muskelverspannungen, Migräne, Schlafstörungen.
Du findest schwer in eine tiefe Entspannung, selbst wenn du theoretisch Zeit hättest.
Viele dieser Reaktionen sind alte Schutzstrategien des Nervensystems: Kampf, Flucht, Erstarren, Sich-tot-stellen.Damals waren sie notwendig. Heute dürfen sie sich verändern.
6.3 Im Selbstbild & in deinen inneren Stimmen
Ein Teil von dir fühlt sich „falsch“ oder „defekt“.
Du kennst Sätze in dir wie:
„Mit mir stimmt etwas nicht.“
„Ich bin zu empfindlich.“
„Ich bin zu viel / zu wenig.“
„Ich kriege nie etwas richtig hin.“
Lob und Anerkennung kommen kaum an – Kritik dagegen trifft dich wie ein Schlag.
Du hast Mühe, dich zu entscheiden und bei dir zu bleiben, wenn andere etwas anderes wollen.
Hier sprechen alte Glaubenssätze aus der Kindheit – entstanden in einer Zeit, wo du dringend Beziehung brauchtest und nicht riskieren konntest, deine Eltern „schlecht“ zu sehen. Das Kind macht dann lieber sich selbst verantwortlich:
„Es liegt an mir.“
6.4 In Alltag, Arbeit & Leistung
Du funktionierst, bist zuverlässig, pflichtbewusst – oft sogar über deine Grenzen hinaus.
Du hast Mühe, Pausen zu machen, ohne Schuldgefühle oder inneren Druck.
Du erlebst entweder Perfektionismus (nie gut genug) oder Aufschieben (alles wird zu viel).
Konflikte oder einfache Nein-Situationen kosten dich enorm viel Kraft – oder du vermeidest sie komplett.
All das sind Versuche, Sicherheit zu schaffen:durch Kontrolle, Leistung, Harmonie, Anpassung.
7. Warum du dich oft kaum erinnerst
Viele Menschen mit Bindungs- und Entwicklungstrauma sagen:
„Ich hatte doch eine normale Kindheit. Es gab nichts wirklich Dramatisches – und trotzdem fühle ich mich innerlich so verletzt.“
Das hat mehrere Gründe:
Frühkindliche Erfahrungen sind körperlich gespeichert: In den ersten Lebensjahren ist das Gehirn noch gar nicht in der Lage, bewusste, erzählbare Erinnerungen zu speichern. Aber dein Körper, dein Nervensystem und deine Gefühle erinnern sich.
Gewohnheit macht blind: Was wir von Anfang an kennen, fühlt sich „normal“ an. Wenn niemand anders da war, der es uns anders gezeigt hat, wissen wir nicht, dass etwas gefehlt hat.
Loyalität und Schutz: Kinder sind ihren Bezugspersonen gegenüber tief loyal. Es kann schmerzhaft sein, zu erkennen: „Ich habe nicht bekommen, was ich gebraucht hätte.“ Das System schützt uns, indem es verharmlost, verdrängt oder idealisiert.
Dissoziation: Wenn etwas zu viel ist, spaltet der Organismus das Erleben ab. Dann sind die Gefühle und Spannungen noch da – aber nicht mehr mit einer klaren Erinnerung verknüpft.
Deshalb ist es so wichtig, die Frage nach Trauma nicht nur über spektakuläre Ereignisse zu stellen, sondern über:
Muster in Beziehungen
Körperreaktionen
Emotionen
innere Überzeugungen
8. Ist das eine Diagnose?
Ja und nein.
Es gibt in der Psychiatrie und Psychologie verschiedene Begriffe:
PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) – eher nach klaren Einzelereignissen
KPTBS (Komplexe PTBS) – eher nach langandauernden Traumata, oft in der Kindheit
Bindungsstörungen im Kindesalter
In meiner Praxis geht es mir aber weniger darum, dir eine Etikette zu geben, sondern:
dein Erleben zu verstehen
die Logik deiner Symptome und Muster aufzudecken
und herauszufinden, was du heute brauchst
Ich benutze „Bindungs- und Entwicklungstrauma“ deshalb vor allem als Verstehensrahmen:
„Aha – meine Reaktionen machen Sinn, wenn ich sehe, was ich damals erlebt habe und was mir als Kind gefehlt hat.“
Wenn du schon eine Diagnose hast (z. B. Depression, Angststörung, KPTBS), kann dieser Rahmen helfen, die Zusammenhänge besser zu begreifen.Wenn du keine Diagnose hast, aber dich in vielem wiedererkennst, ist das genauso wertvoll.
9. Wie Heilung aussehen kann
Heilung bedeutet nicht, dass „alles verschwindet“ oder die Vergangenheit anders wird.Heilung heißt:
dass dein Nervensystem mehr Sicherheit findet
dass du dich nicht mehr von deinen Gefühlen überschwemmt oder abgeschnitten fühlst
dass du liebevoller mit dir selbst wirst
und dass du neue Erfahrungen machst – in Beziehung, im Körper, im Fühlen

In meiner Arbeit mit Bindungs- und Entwicklungstrauma sind für mich mehrere Ebenen wichtig:
9.1. Beziehung & sicherer Rahmen
Trauma ist in Beziehung entstanden – und Heilung findet auch in Beziehung statt.
Ein Gegenüber, das da bleibt, auch wenn es schwierig wird
langsames, respektvolles Tempo
Klarheit, Transparenz, Humor und Erdung
Raum für Scham, Wut, Angst, Trauer – ohne dass du „zu viel“ bist
Du darfst erleben:
„Ich kann mit meinem echten Erleben hier sein – und werde gehalten.“
9.2. Körper & Nervensystem
Bindungs- und Entwicklungstrauma sitzt nicht nur im Kopf – es ist im ganzen Körper spürbar. Deshalb beziehe ich in der Arbeit ganz bewusst den Körper ein, zum Beispiel über:
behutsame Wahrnehmung von Atem, Muskeltonus, Körperempfindungen
Übungen zur Co-Regulation (z. B. Hand an Hinterkopf und Stirn, wie du es vielleicht aus meinen Sitzungen kennst)
das Safe and Sound Protocol (SSP) zur Unterstützung des sozialen Nervensystems (Polyvagal-Theorie)
Ressourcen: Erdung, Halteübungen, sichere Orte im Körper finden
Das Ziel ist nicht, ständig „reguliert“ und entspannt zu sein, sondern:
mehr Spielraum zu bekommen – zwischen Stress und Ruhe, zwischen Anspannung und Entspannung.
9.3. Emotionale Verkörperung
Statt nur „über Gefühle zu reden“, geht es darum, Emotionen im Körper zu spüren und durchfließen zu lassen – in einem Maß, das tragbar ist.
Angst, Wut, Scham, Trauer, Leere – all diese Zustände dürfen körperlich erlebt werden
wir achten darauf, dass du nicht allein damit bist
wir finden Worte, Bilder, manchmal auch Bewegungen dazu
dein System lernt:
„Ich kann fühlen – und gleichzeitig bleiben.“
Hier fließt meine Erfahrung mit Traumatherapie, hypnotherapeutischen Verfahren, EMDR und der Integralen Somatischen Psychologie zusammen.
9.4. Nachreifen von Entwicklungsphasen
Mit den Entwicklungsmodellen (z. B. Existenz, Bedürfnis, Autonomie usw.) können wir sehr konkret schauen:
Welche innere Altersstufe meldet sich gerade?
Was hätte dieses kleine Ich damals gebraucht?
Welche neue Erfahrung können wir heute anbieten?
Das kann bedeuten:
das innere Baby zu spüren, das einfach nur gehalten und gesehen werden möchte
das Kleinkind, das zum ersten Mal „Nein“ sagen darf, ohne verlassen zu werden
der Teenager, der sich mit seinen Gefühlen, seiner Sexualität, seiner Identität zeigen darf – und nicht beschämt wird
So werden die alten Schutzstrategien Schritt für Schritt überflüssiger, weil dein System neue, bessere Möglichkeiten kennenlernt.
9.5. Glaubenssätze & innere Arbeit
Auf dieser Basis lässt sich dann auch gut mit Glaubenssätzen arbeiten, z. B. mit:
The Work of Byron Katie
EMDR Coaching
Parts-Arbeit (innere Anteile)
Integralen Somatischen Psychologie
Spiegelung und Neuorientierung im Hier und Jetzt
Wichtig ist: Wir „denken nicht einfach um“, während der Körper noch im Trauma steckt.Zuerst braucht es Erleben, dann kann sich das Denken in Ruhe nachordnen.
10. Wann es sinnvoll ist, Hilfe zu suchen
Du musst nicht „ganz am Ende“ sein, um dir Unterstützung zu holen.Es kann sinnvoll sein, bei Bindungs- und Entwicklungstrauma professionelle Begleitung zu suchen, wenn du merkst:
Deine Beziehungen wiederholen sich schmerzhaft oder brechen immer wieder ähnlich ab.
Du fühlst dich innerlich leer, falsch, nicht dazugehörig oder chronisch erschöpft.
Du reagierst in bestimmten Situationen deutlich stärker, als es dir selbst erklärbar ist.
Du hast das Gefühl, „alles verstanden“ zu haben – aber es ändert sich trotzdem wenig.
Selbstregulation, Meditation, Achtsamkeit helfen zwar etwas, aber nicht tief genug.
Du spürst, dass deine frühen Erfahrungen mehr Einfluss auf dein heutiges Leben haben, als dir lieb ist – und willst den Kreislauf unterbrechen.
Dann kann es ein sehr mutiger und heilsamer Schritt sein zu sagen:
„Ich schaue mir das jetzt an – nicht, um Schuldige zu suchen,sondern um Verantwortung für mein Leben zu übernehmen.“
Häufige Fragen zu Bindungs- und Entwicklungstrauma
Was ist ein Bindungstrauma in einfachen Worten?
Ein Bindungstrauma entsteht, wenn ein Kind in den ersten Lebensjahren keine ausreichend sichere, liebevolle Beziehung zu seinen wichtigsten Bezugspersonen erlebt. Statt Schutz und Halt erfährt es zu viel Unsicherheit, Überforderung oder emotionale Abwesenheit. Das prägt später das Nervensystem, den Selbstwert und die Art, wie wir Nähe erleben.
Woran kann ich ein Bindungs- oder Entwicklungstrauma erkennen?
Hinweise können wiederkehrende Probleme in Beziehungen, starke Verlustangst oder Rückzug, chronische Anspannung, innere Leere, negative Glaubenssätze über dich selbst und körperliche Stresssymptome sein. Eine klare Diagnose braucht ein persönliches Gespräch – aber du darfst deiner eigenen Wahrnehmung vertrauen, wenn du spürst: „Etwas in mir trägt alte Verletzungen.“
Kann man Bindungs- und Entwicklungstrauma heilen?
Ja – in dem Sinn, dass dein Nervensystem sich beruhigen, dein Selbstbild stabiler werden und deine Beziehungen nährender werden können. Die Vergangenheit bleibt, aber du kannst heute neue Erfahrungen machen, die alte Muster Schritt für Schritt überschreiben. Das braucht Zeit, einen sicheren Rahmen und oft professionelle Begleitung.
Kann ich ein Bindungs- oder Entwicklungstrauma haben, obwohl meine Kindheit gar nicht „so schlimm“ war?
Ja. Sehr viele Menschen mit Bindungs- und Entwicklungstrauma sagen Sätze wie: „Eigentlich war meine Kindheit normal. Es gab keine Gewalt, kein Heim, keinen Krieg – und trotzdem fühle ich mich innerlich so verletzt.“
Entwicklungstrauma entsteht oft nicht nur durch die eine große Katastrophe, sondern durch viele kleine, wiederholte Verletzungen oder ein dauerhaftes Zuwenig an emotionaler Sicherheit:zu wenig Gesehenwerden, zu wenig Trost, zu viel Verantwortung, ständige Spannung, emotional abwesende oder überforderte Eltern.
Dein Nervensystem und dein inneres Erleben entscheiden, ob etwas traumatisch war – nicht der Vergleich mit der Geschichte anderer.Wenn du spürst, dass sich in dir vieles nach Kampf, Überleben, Anpassung oder innerer Leere anfühlt, darfst du das ernst nehmen, auch wenn deine Kindheit nach außen „ganz normal“ aussah.
Mehr zu: EMDR - Grundlagen & häufige Fragen
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